Graphit Flammschutz

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Blähgraphit für PA6

Über 250 Grad Verarbeitungstemperatur? Bisher keine Chance für Blähgraphit als Flammschutzadditiv! Dieser Herausforderung haben wir uns gemeinsam mit dem LKT Erlangen-Nürnberg im Projekt HiPeX gestellt. Das Ergebnis: ein Blähgraphit für PA6, der zeigt, was möglich ist, wenn Forschung und Anwendung zusammenwirken.

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Projektdetails

Das Forschungsprojekt HiPeX – New Generation Expandable Graphite for High Performance Materials – wurde in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Kunststofftechnik (LKT) der Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt. Ziel war es, eine neue Generation von Blähgraphit zu entwickeln, die sich als halogenfreies Flammschutzadditiv für technische Kunststoffe wie PA6 eignet. Im Mittelpunkt standen definierte Starttemperaturen, verbesserte Verarbeitbarkeit und die Erfüllung anspruchsvoller Flammschutznormen wie UL 94 V-0. Der praxisorientierte Entwicklungsansatz umfasste Materialanalysen, Compounding Versuche und die Übertragung in anwendungsnahe Bauteiltests.

Herausforderungen

Früh expandierende Blähgraphite führten in PA6 zu Verarbeitungsproblemen und Ausschuss, hohe Füllgrade schwächten die Mechanik.

Lösungsansätze

Ein neuer Blähgraphit Typ mit höherer Starttemperatur und synergistische Additive ermöglichten effektiven Flammschutz bei besserer Verarbeitbarkeit.

Halogenfreier Flammschutz für PA6: Unsere Reise mit dem HiPeX-Projekt

Im Rückblick war es nicht nur ein Forschungsprojekt, es war eine Reise. Eine Reise, die uns bei LUH an unsere Grenzen geführt und darüber hinaus wachsen lassen hat. Ziel war es, eine halogenfreie, leistungsfähige Flammschutzlösung auf Basis von Blähgraphit zu entwickeln, die selbst anspruchsvolle Anwendungen wie PA6 in sicherheitskritischen Bereichen überzeugt. Denn der Bedarf war klar: gerade die Automobilindustrie und Hersteller technischer Kunststoffe suchten nach zuverlässigen Alternativen zu konventionellen, halogenhaltigen Systemen.

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Der Start: Eine klare Herausforderung

Polyamid 6 ist längst ein fester Bestandteil moderner Leichtbauanwendungen – nicht zuletzt im Bereich von Batterie- und Elektronikgehäusen. Seine hohe mechanische Festigkeit, Wärmeformbeständigkeit und gute Verarbeitbarkeit machen es zum idealen Werkstoff für Bauteile, die leicht, robust und belastbar zugleich sein müssen. Doch PA6 bringt eine Herausforderung mit sich: den Flammschutz. Gerade in sicherheitsrelevanten Anwendungen wie im Fahrzeugbau gelten strenge Anforderungen:

  • UL 94 V-0: Das Material muss sich selbst löschen, ohne zu tropfen oder nachzuentflammen
  • Geringe Wärmefreisetzung: Im Brandfall soll möglichst wenig Energie freigesetzt werden
  • Minimale Rauchentwicklung: Für die Sicherheit von Insassen und Rettungskräften
  • Halogenfreiheit & REACH-Konformität: Ungiftige, nachhaltige Additive sind Pflicht

Wir bei LUH hatten über Jahre hinweg hervorragende Erfahrungen mit Blähgraphit in PUR-Systemen und Bitumenanwendungen gesammelt. Doch immer wieder stießen wir in Gesprächen mit Kunden auf die gleiche Barriere, denn Blähgraphit war zum damaligen Zeitpunkt nicht für PA6 geeignet. Denn der Einsatz von Blähgraphit als Flammschutzmittel in Thermoplasten wie PA6 scheiterte bislang meist an einem entscheidenden Punkt: Der Expansionsbeginn vieler Standard-Blähgraphite liegt deutlich unterhalb von 250 °C – ein Bereich, der in der PA6-Verarbeitung bereits unterschritten wird. Das Problem: Der Graphit beginnt bereits während des Compoundierens aufzuschäumen. Die Folge: Ein Risiko für Maschine und Material. Außerdem ist die Flammschutzwirkung dann nicht mehr gegeben.

HiPeX – Ein Projekt mit klarem Ziel

Mit dem ZIM-Verbundprojekt zusammen mit dem Lehrstuhl Kunststofftechnik der Universität Erlangen-Nürnberg wollten wir genau das ändern. Wir hatten ein gemeinsames Ziel: Die Entwicklung eines neuen, hochtemperaturstabilen Blähgraphits, der speziell für Thermoplaste wie PA6 geeignet ist. Dabei war uns von Beginn an klar, dass wir keine Kompromisse eingehen würden. Unser Produkt sollte:

  • Halogenfrei und damit REACH- sowie RoHS-konform sein,
  • eine hohe Expansionsrate und intumeszierende Wirkung zeigen,
  • sich problemlos compoundieren lassen, ohne vorzeitig zu reagieren,
  • und gleichzeitig mechanisch stabile, raucharme Materialien ermöglichen.

Materialentwicklung: Ein neues Kapitel

Die ersten Versuche im Labormaßstab zeigten schnell: Es ist möglich, die Starttemperatur gezielt anzuheben – auf über 250 Grad Celsius – und gleichzeitig die typischen Vorteile des Blähgraphits zu erhalten. Doch schnell wurde klar: Der alleinige Einsatz von Blähgraphit genügt noch nicht. Zwar konnten wir mit etwa 25 Prozent Blähgraphit eine UL 94 V-0-Einstufung erzielen, doch dieser hohe Füllgrad wirkte sich negativ auf die mechanischen Eigenschaften aus und schränkte die Möglichkeiten für zusätzliche Additive stark ein.

Die Lösung: Der Weg über Synergismen.

Die Wende: Synergismen erkennen und nutzen

Im nächsten Schritt testeten wir gezielt Kombinationen mit Aluminiumdiethylphosphinat (AlPi) und Melaminpolyphosphat (MPP). Ziel war es, bei gleichbleibendem Brandschutz das Additivniveau zu senken. Und es gelang: Bereits bei 20 Prozent Gesamtfüllgrad, einer Kombination aus EG, AlPi und MPP, erreichten wir die begehrte UL 94 V-0-Einstufung.

Ermutigt durch diese Ergebnisse, gingen wir noch einen Schritt weiter. In der Automobilindustrie sind glasfaserverstärkte Kunststoffe Standard. Deshalb integrierten wir in der dritten Phase 15 Prozent Glasfaser in die Compoundstruktur. Dies stellte eine neue Herausforderung dar, denn Glasfasern beeinflussen das Brandverhalten sowie die Additivverteilung im Material.

Daraufhin entwickelten wir eine spezielle Synergistenformulierung, die auch im Zusammenspiel mit Glasfasern ihre volle Wirkung entfaltet. Das Resultat war ein System, das nicht nur höchste Flammschutzanforderungen erfüllt, sondern auch unter mechanischen Gesichtspunkten überzeugt.

Brandprüfungen: Der ultimative Härtetest

Ein Projekt wie HiPeX lebt von Nachweisen. Deshalb stellten wir uns den überzeugendsten Argumenten: den standardisierten Brandtests.

  • Im Cone Calorimeter nach ISO 5660-1 zeigten die Systeme mit Blähgraphit und Synergisten eine Reduktion der Wärmefreisetzung um mehr als 75 Prozent im Vergleich zu Standard-PA6.
  • Die Expansion des Graphits führte zu einer stabilen Schutzschicht, die Sauerstoffzufuhr und Wärmeleitung stark reduzierte.
  • Auch die Vertikaltests nach UL 94 bestätigten die Leistung: Kein Abtropfen, keine Nachentzündung, schnelle Selbstverlöschung, selbst bei glasfaserverstärkten Compounds.

Die Lösung war damit nicht nur entwickelt, sondern auch erfolgreich getestet: Blähgraphit, insbesondere in Kombination mit AlPi und MPP, bietet die beste Balance aus Flammschutz, Rauchunterdrückung und mechanischer Stabilität für sicherheitsrelevante PA6-Bauteile. Darüber hinaus ist das Additiv halogenfrei, REACH- und RoHS-konform sowie mechanisch dauerhaft stabil. Eine rundum nachhaltige Lösung – mit echtem Mehrwert für die Praxis.

Brandprüfungen von PA6 im Labor mit Blähgraphit und Compounds

Ergebnisse aus Forschung und Praxis

Diese Erkenntnisse zeigen auch die wissenschaftlichen Studien (u. a. FAU Erlangen-Nürnberg, Polymers 2021 & 2022), die die hohe Wirksamkeit unseres Ansatzes bestätigen:

  • Reduktion der Wärmefreisetzung um mehr als 80 % (von 648 auf 120 kW/m² bei 25 Gew.-% EG)
  • Erreichen der UL 94 V-0-Klassifikation bereits bei 25 % EG oder bei 20 % EG + 5 % AlPi/MPP
  • LOI-Werte von bis zu 46 % – ein Spitzenwert für PA6-Compounds
  • Rauchentwicklung (TSP) von nur etwa 1,2 m² – nahezu rauchfrei
  • Mechanische Integrität auch bei vertikaler Probenlagerung – die Schutzschicht blieb stabil

Der Mehrwert für unsere Kunden

Das Ergebnis unserer Forschung ist mehr als nur ein neuer Rohstoff. Es ist ein Anwendungssystem, das speziell auf die Anforderungen sicherheitsrelevanter PA6-Bauteile zugeschnitten ist:

  • Regelkonform: Halogenfrei, REACH- und RoHS-konform
  • Effizient: Bereits 20–25 % Additivanteil genügen
  • Multifunktional: Verbesserte Fließfähigkeit, EMV-Schutz, elektrische Leitfähigkeit
  • Nachhaltig: Deutliche CO₂-Einsparung gegenüber Aluminium-Gehäusen

Was wir gelernt haben

Das HiPeX-Projekt hat uns eindrucksvoll vor Augen geführt, dass Blähgraphit weit mehr ist als ein Additiv, das bei Hitze aufschäumt. Es ist ein Systemwerkstoff mit enormem Potenzial, wenn man bereit ist, ihn wirklich zu verstehen. Denn seine Wirkung hängt nicht nur vom Rohstoff selbst ab, sondern vom gesamten Zusammenspiel: Rezeptur, Verarbeitung, Anwendung, Prüfmethoden.

Zu Beginn schien es fast unmöglich, Blähgraphit in Polyamid 6 zuverlässig zum Einsatz zu bringen. Doch durch gezielte Modifikation, neue Messtechniken und enge Zusammenarbeit mit Forschungspartnern konnten wir genau das möglich machen. Heute wissen wir:

  • Dass Standard-Blähgraphite für viele Anwendungen nicht optimal sind, aber mit dem richtigen Know-how gezielt angepasst werden können. Was anfangs als Ausschlusskriterium galt, wurde durch unsere Laborversuche zur realisierbaren Lösung.
  • Dass Synergien den Unterschied machen. In Kombination mit Additiven wie AlPi oder MPP lassen sich mit Blähgraphit selbst anspruchsvollste Brandschutznormen wie UL 94 V-0 oder EN 45545 erfüllen, bei gleichzeitig hoher Materialstabilität.
  • Dass Performance mehrdimensional gedacht werden muss. Es reicht nicht, dass ein Material nicht brennt, es muss sich auch verarbeiten lassen, stabil bleiben, reproduzierbar wirken und regulatorische Anforderungen langfristig erfüllen.
  • Und vor allem: Dass Blähgraphit für viel mehr Anwendungen die passende Lösung sein kann, als man zunächst vermutet. Ob PA6, PUR, TPE oder andere Polymersysteme – mit der richtigen Strategie lassen sich neue Einsatzfelder erschließen und nachhaltige Brandschutzlösungen realisieren.

Und heute?

Heute ist GHL PX 95 HT 270 nicht mehr nur ein Projektergebnis, es ist Teil unseres Produktportfolios. Ein Blähgraphit, der speziell für technische Thermoplaste wie PA6 entwickelt wurde, halogenfrei, leistungsstark und nachhaltig. Er zeigt, was möglich ist, wenn Expertise, Neugier und Partnerschaft zusammenkommen.

Die Ergebnisse von HiPeX sind für uns nicht das Ende, sondern der Beginn einer neuen Materialgeneration. Wir arbeiten derzeit an Blähgraphit Typen, die ihre Expansion erst über 300 °C starten, ideal für noch anspruchsvollere technische Thermoplaste wie PA66, die z. B. in Strukturbauteilen mit besonders hoher Wärmeformbeständigkeit eingesetzt werden. Das Ziel: Noch dünnwandigere Bauteile, noch geringere Additivmengen, noch bessere Verarbeitung, ohne Kompromisse bei der Sicherheit.